Blog #18
Also gut… Eine weitere Bewährungsprobe für die Arbeit als Freischaffender. Eine erneute harte Prüfung, die Entscheidung betreffend, nicht die Sicherheit, sondern die Selbstverwirklichung gewählt zu haben.
Eine erneute harte Prüfung deshalb, weil das alles, wenn es zur Routine wird, so selbstverwirklichend gar nicht ist.
Ich habe immer danach entschieden, welche Abzweigung mir möglich macht an meinen Idealen fest zu halten, Werte zu leben, die ich gelebt wissen will, um mir selbst gegenüber aufrecht zu bleiben. Ja, um auch authentischer Mahner sein zu können: Practice what you preach!
Aber bisweilen werden Menschen, die ihren Idealen gemäß handeln, bis ins Detail zerpflückt, um aufzudecken, an welcher Stelle sie nicht konsistent sind. Während mit voller Wucht auf die Kacke zu hauen, dass es nur so spritzt, völlig legitim zu sein scheint; machen ja alle so. Man denke nur an Argumentationsketten im Sinne von: “Der wo die Greta da nach Übbersee geschippert hat, hat e Team gehabt, des allesamt geflooche is’! Des war de Greta auch egal!!” Was Menschen zu diesem Scheiß veranlasst, habe ich meine Gedanken zu, mögen aber Psychologen besser beurteilen…
Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit sind Werte, die ich sehr hoch halte. Werte, Ideale, wo bleibt da der Spaß? Der Humor? Genau da wo sich Anspruch und Wirklichkeit bricht. Genau da, wo Altruismus auf Egoismus, wo Gestalten auf Scheitern trifft, wo das Selbstbild Risse kriegt – ja zerbröselt – und man schlau genug ist, sich für die Satire und nicht für das Dogma zu entscheiden.
Und genau diese Haltung war ursächlich, um mich für das Leben als freischaffender Künstler zu entscheiden.
Thema Selbstverwirklichung: Ein ums andere Mal Repertoire vorzubereiten, das ich nicht mag, in Gruppen zusammen zu wirken, in denen die Niveaus heterogen verteilt sind (um es diplomatisch zu formulieren), Gigs zu durchleben, die einen auch mit einer vermeintlichen Jobkarriere, nach fast dreißig Jahren Berufserfahrung, immer noch den Weg zur Toilette als Umkleide weisen, Jobangebote für die tolle Werbung aber leider keine Gage, Sonderförz im Ablauf von Veranstaltungen, Tanzbär und nicht gefeierter Musiker zu sein… Das hat alles nix mit Selbstverwirklichung zu tun.
Und fordert mich als Berufstätigen genau so heraus, wie alle anderen Berufstätigen auch; die durch arbeitsschutzrechtliche Maßnahmen allerdings gestärkt sind an Stellen Nein zu sagen, an denen ich als Freiberufler schlucke, mir den Arsch abwische und weiter mache.
Fällt mir schwer. Sehr schwer sogar! So schwer, dass ich mir dadurch manche Möglichkeit zum besseren Verdienst verbaut habe. So schwer, dass ich bisweilen ganz schön auf dem Arsch gelandet bin. So schwer, dass mir bisweilen ein Ruf voraus eilt. Aber verdammt, ich entscheide mich doch nicht für einen Weg, der auf Sicherheit verzichtet, der einen unsteten Lebenswandel mit sich bringt, der das soziale miteinander mit Familie und Freunden erschwert, um dann noch zu jedem Scheiß Ja und Amen zu sagen!!
Und mir dadurch an bestimmten Stellen wirtschaftlich geschadet zu haben, gleicht mein ungebrochenes Selbstbild locker wieder aus.
Der Kompromiss: Wenn Entscheidungen, die ich treffe von anderen wirtschaftlich aufgefangen werden müssten.
Also lasse ich mich natürlich an vielen Stellen auf Dinge ein, die ich an sich nicht machen möchte, nehme ich bestimmte unliebsame Alltäglichkeiten immer wieder in Kauf.
Und jetzt?
Corona!
Nervige Gigs, anstrengende Gigs, herausfordernde Gigs, erfolglose Gigs, Gigs im Siff, ja gibt’s alles… Aber besser als gar keine Gigs!
Und über die Jahre habe ich mir einen Alltag gebaut, der meinen musikalischen Neigungen, meinen Ansprüchen, meinen Vorlieben immer mehr gerecht wird. Ich habe Achtsamkeit, Demut, Wertschätzung, Abgrenzung und einzuschätzen gelernt, in wen und was es sich zu investieren lohnt. Habe dabei ein Kind gemeinsam mit meiner Frau groß gezogen und setze mich vor allem mit FluXmeister ein, um Haltung zu zeigen und zum Besinnen einzuladen. Einen Schritt zurück zu treten, um persönliche und gesellschaftliche Wirkungsweisen zu reflektieren, zu hinterfragen und zu überdenken.
Dafür braucht es im Moment FluXmeister nicht.
Wenn man es positiv sehen will, bietet sich diese Chance ganz unabhängig eines kritischen Kulturbetriebes.
Aber der Kulturbetrieb braucht jetzt Euch!!! Und einen Staat, der bereit ist in mich, in uns Kulturschaffende zu investieren ohne etwas zurück zu verlangen. Wir Kulturschaffende geben viel. Und das z.B. auch ohne Anspruch auf Arbeitslosengeld. Alleine die Stunden aufzuzählen, die aufgewendet werden, um mit dem Erarbeiten von hochkomplexen Fertigkeiten scheinbar mühelos zu unterhalten, Spaß zu bereiten, zu Irritieren, Anregung zu bieten, sein Selbstbild zu bilden und zu stärken, würden, übertragen auf eine “normale” Jobkarriere, fast mühelos einen Aufstieg in die Führungsetage mit sich bringen.
Das Ausprägen dieser Fertigkeiten erfordert ein hohes Maß an Selbstdisziplin, an Selbstorganisation, an Selbstreflexion und im Falle, dass man als Bandleader fungiert ein hohes Maß an Führungskompetenz. Man spielt nicht gemeinsam gut, indem man brüllt: “Scheiße, spielt jetzt verdammt noch mal gemeinsam gut!!!” Es braucht Klarheit, Selbstgewissheit, konkrete Vorstellungen und die Fähigkeit diese zu vermitteln, die Fähigkeit zu motivieren, das Definieren und Benennen gemeinsamer Ziele und das Organisieren starker gemeinsamer Momente. Und das gepaart mit dem aus künstlerischem Antrieb scheinbar naturgegebenen Selbstzweifel, der Bereitschaft sich immer wieder zu hinterfragen. In meiner Utopie sind es solche Menschen, die sich zur Führung eignen und nicht die, die durch materielle Güter Macht anhäufen, angeben und kompromittieren.
Ich könnte hier weiter der freischaffenden Kunst das Wort reden. Aber ich möchte konkret werden. Einen Vorschlag machen, wie möglich wäre uns über die Krise zu helfen:
Und zwar Ausgleichzahlungen für jeden dokumentierten Ausfall einer Gage. Eine Ausgleichzahlung, die nicht zurück erstattet werden muss! Und das in dem prozentualen Maß, dass auch für das Kurzarbeitergeld festgelegt ist. 60% für Singles, 67% für Leute mit Familie. Und das möglichst unkompliziert.
Ein ausgefallener Gig ist in aller Regel nicht in dem Maße nachzuholen, dass es keinen Verdienstausfall bedeutet! Wenn im Herbst gespielt wird, dann nicht gleich wieder im kommenden Frühjahr. Und wenn gänzlich aufs nächste Jahr verschoben wird, wäre das ohnehin das Rebooking gewesen, sprich die entsprechende Gage ist weg. Wenn man neues Terrain erobert hat, kann eine Absage ein Zurücksetzen auf Null bedeuten.
Und bei Krediten, egal in welcher Form, entstünde für viele KollegInnen auch nach der Krise existentieller Druck, da aus einem ausgefallenen Gig keine zwei neuen resultieren.
Nach meiner Einschätzung werden die Menschen nach der Krise zwar mit einer unglaublichen Euphorie – vielleicht ja sogar mit einer ganz neuen Wertschätzung – in die Clubs, Festivals, Bars, was auch immer gehen. Aber selbst wenn alles wieder etwas gelockert wird, gehe ich davon aus, dass eine gewisse Unsicherheit bleiben wird und es noch eine Zeit dauern wird, bis sich die Menschen wieder ungehemmt auf dichtes Beisammensein einlassen werden. Zumal bis zu einer flächendeckenden Durchseuchung noch mal eine zweite Krise im Herbst/ Winter kommen kann. Wir werden sehen.
Ich bin einverstanden mit unserem Staat. Ich kann die Maßnahmen nachvollziehen und kann auch meinerseits nur an die Solidarität appellieren. Wenn jetzt noch die Wertschätzung durch zeitnahe konkrete Unterstützung erfolgt, wende ich mich gelassen innerer Einkehr und kreativem Schaffen zu.
Bleibt Gesund und geduldig!
Joachim